Offener Brief zur Innenministerkonferenz

  • Beitrags-Kategorie:News Kirchenasyl
  • Lesedauer:4 min Lesezeit

Sehr geehrte Innenminister*innen der Länder, sehr geehrter Herr Seehofer,

uns ist bewusst, dass der thematische Fokus der IMK und sämtlicher Politik aktuell auf der Bekämpfung der Corona-Pandemie liegt. Wir sind dankbar, dass hier überwiegend kluge und nachvollziehbare Entscheidungen getroffen werden. Wenn wir allerdings in diesen Tagen davon hören, dass über Abschiebungen nach Syrien nachgedacht wird, dass Menschen aus Deutschland in Länder wie Afghanistan  oder Somalia abgeschoben werden, in denen Krieg und Corona herrschen, sind wir fassungslos. Aus gutem Grund wird EU-Bürger*innen von Reisen abgeraten. Mit welcher Begründung aber vertreten Sie Rücküberstellungen nach der Dublin-III-Verordnung während der Pandemie, die ja auch Ihre eigenen Beamt*innen gefährden? Sie wissen wie wir um die prekäre Unterbringung und den erschwerten Zugang zum Gesundheitssystem für Geflüchtete sogar in europäischen Ländern wie Rumänien, Italien oder Frankreich.

Als Kirchenasylbewegung versuchen wir, besonders verletzliche und schutzbedürftige Menschen vor einer drohenden Abschiebung zu schützen. Aber auch bei den Familien und Einzelpersonen, die Schutz in einem Kirchenasyl gefunden haben, wächst die Angst. Die immer neue Verunsicherung, was nun gerade gilt, und die inzwischen diversen Verlängerungen der Überstellungsfristen führen bei Geflüchteten zu zunehmender Entmutigung und Belastung – und bei Kirchengemeinden zu wachsendem Unverständnis: Warum hat die vorherrschende Rechtsauffassung bis hin zu einem BVerwG-Beschluss aus dem Juni keine Änderung der BAMF-Praxis zur Folge?

Ein Beispiel: Eine afghanische Familie mit fünf Kindern befindet sich seit April 2019 im Kirchenasyl. Der sehr schlechte Gesundheitszustand und die starke Erschöpfung der ganzen Familie nach jahrelangem unsicheren Aufenthaltsstatus hatten zu der Entscheidung geführt. Die sechsmonatige Überstellungsfrist wäre im Oktober 2019 abgelaufen, wurde aber vom BAMF nach Ablehnung des Härtefalldossiers wegen des Aufenthalts im Kirchenasyl auf 18 Monate verlängert. Zuständig für die eingereichte Klage war leider die Kammer eines Verwaltungsgerichts, die als eine der wenigen solche Verlängerungen für rechtmäßig hält. Tage vor Ablauf der 18 Monate erhielt die Familie die Nachricht, dass Überstellungsfristen Corona-bedingt bis Juli 2020 ausgesetzt waren und nun neu zu laufen begonnen hätten. Zugrunde gelegt für die neu laufende Frist wurden aber nicht sechs, sondern erneut 18 Monate. Fristablauf sei nun Januar 2022.  Dies halten wir für rechtswidrig und mit dem Geist der Dublin III- Verordnung – möglichst rasche Rechtssicherheit für die Asylsuchenden nach in der Regel sechs, maximal 18 Monaten – nicht zu vereinbaren.

Manche ablehnende Begründung von Härtefalldossiers erfüllt uns nach wie vor mit großem Unverständnis. Hier ebenfalls ein Beispiel:

Einer 18jährigen Frau aus Somalia, die als Kind geschlechtsspezifische Folter und Zwangsverheiratung erlitt, zum Tode verurteilt wurde und floh, auf der Flucht Haft und Vergewaltigungen ertragen musste, dann minderjährig in Italien statt Aufnahme, Versorgung oder Behandlung weitere Gewalt erfuhr, legt das BAMF in der Dossierablehnung nahe, sie selbst sei verantwortlich für diese Mängel, da sie in Italien als Minderjährige keinen Asylantrag gestellt habe. Auch ihr Vortrag in Deutschland sei nicht substantiiert gewesen. „….ist ein bloßer, unsubstantiierter Sachvortrag weder geeignet das Vorliegen von gesundheitlichen Beschwerden nachzuweisen, noch die Sachaufklärungspflicht des Bundesamtes in Bezug auf diese zu eröffnen.“ Die Verantwortung für Sachaufklärung einer gerade erst volljährigen, zweifelsohne besonders schutzbedürftigen jungen Frau zu übertragen, selbst nachdem man als Amt mit einem ausführlichen Härtefalldossier auf die Situation hingewiesen wurde, lässt eine humanitäre Grundhaltung für uns nicht mehr erkennen.

Auch die Praxis, in Zeiten der Corona-Pandemie unveränderte Kriterien an den Umfang und die Aussagekraft ärztlicher Stellungnahmen anzulegen, ist realitätsfern und in der Konsequenz für die Betroffenen dramatisch. So Sie … zu den Schwierigkeiten vortragen, welchen Antragsteller hinsichtlich der Vorlage von qualifizierten medizinischen Attesten begegnen, wird deren Erfordernis dadurch nicht aufgehoben.“

Sie kommen dieses Jahr über den 10. Dezember zusammen, den Tag der Menschenrechte. Wir wünschen uns, dass Menschenrechte für Geflüchtete an den und innerhalb der Grenzen der EU kein Lippenbekenntnis bleiben, während die Praxis oft das Gegenteil aussagt.

Treten Sie mit uns für humanitäre Asylpolitik und eine faire Behördenpraxis ein!

Wir freuen uns auf Ihre Antwort, wünschen ihnen gute Beratungen und sind gern zu weiteren Gesprächen bereit.

Mit freundlichen Grüßen,

Pastorin Dietlind Jochims

Vorsitzende der Ökumenischen BAG Asyl in der Kirche e.V.

—-

Hier können sie den Brief als pdf-Datei herunterladen.