Newsletter 12/2020

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  • Lesedauer:10 min Lesezeit

Liebe Freund*innen der Kirchenasylbewegung,

Dieses Jahr trifft sich die Innenministerkonferenz über den 10. Dezember, den Internationalen Tag der Menschenrechte. Wir haben dies zum Anlass genommen und einen offenen Brief zum Kirchenasyl verfasst. Darin fordern wir ein Ende der willkürlichen und rechtwidrigen Fristverlängerungen bei sog. Dublin-Kirchenasylen. Den ganzen Brief finden Sie unter I.II.

Die Presseberichterstattung über Kirchenasyl wird von Artikeln über Äbtissin Mutter Mechthild auf Bayern dominiert, der ein Strafverfahren wegen Gewährung von Kirchenasyl droht. Trotz des traurigen Anlasses, nämlich der kontinuierlichen Kriminalisierung von Kirchenasyl, erfüllen uns die Beiträge über Mutter Mechthild mit Hoffnung. Wir wünschen uns, dass sie in Ihrer Überzeugungskraft und Stärke anderen ein Beispiel ist und wir in diesem Corona-Winter viele Menschen vor Abschiebung mit dramatischen Konsequenzen schützen können.

Wenn Sie die Artikel, die wir im „Pressespiegel“ zusammengestellt haben lesen möchten, folgen Sie bitte einfach dem markierten Link auf die Website. Sollten Sie Veranstaltungen organisieren, die von Interesse sein könnten und die wir auf unserer Homepage und im Newsletter bewerben sollen, schreiben Sie uns bitte an info@kirchenasyl.de.

Wir wünschen Ihnen, Ihren Familien, Gemeinden und Gemeinschaften eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit!

Mit freundlichen Grüßen,

Genia Schenke und Ulrike La Gro


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I. In eigener Sache

I.I Adventsgruß und Spendenaufruf


I.II Offener Brief zur Innenministerkonferenz im Dezember 2020

Sehr geehrte Innenminister*innen der Länder, sehr geehrter Herr Seehofer,

uns ist bewusst, dass der thematische Fokus der IMK und sämtlicher Politik aktuell auf der Bekämpfung der Corona-Pandemie liegt. Wir sind dankbar, dass hier überwiegend kluge und nachvollziehbare Entscheidungen getroffen werden. Wenn wir allerdings in diesen Tagen davon hören, dass über Abschiebungen nach Syrien nachgedacht wird, dass Menschen aus Deutschland in Länder wie Afghanistan  oder Somalia abgeschoben werden, in denen Krieg und Corona herrschen, sind wir fassungslos. Aus gutem Grund wird EU-Bürger*innen von Reisen abgeraten. Mit welcher Begründung aber vertreten Sie Rücküberstellungen nach der Dublin-III-Verordnung während der Pandemie, die ja auch Ihre eigenen Beamt*innen gefährden? Sie wissen wie wir um die prekäre Unterbringung und den erschwerten Zugang zum Gesundheitssystem für Geflüchtete sogar in europäischen Ländern wie Rumänien, Italien oder Frankreich.

Als Kirchenasylbewegung versuchen wir, besonders verletzliche und schutzbedürftige Menschen vor einer drohenden Abschiebung zu schützen. Aber auch bei den Familien und Einzelpersonen, die Schutz in einem Kirchenasyl gefunden haben, wächst die Angst. Die immer neue Verunsicherung, was nun gerade gilt, und die inzwischen diversen Verlängerungen der Überstellungsfristen führen bei Geflüchteten zu zunehmender Entmutigung und Belastung – und bei Kirchengemeinden zu wachsendem Unverständnis: Warum hat die vorherrschende Rechtsauffassung bis hin zu einem BVerwG-Beschluss aus dem Juni keine Änderung der BAMF-Praxis zur Folge?

Ein Beispiel: Eine afghanische Familie mit fünf Kindern befindet sich seit April 2019 im Kirchenasyl. Der sehr schlechte Gesundheitszustand und die starke Erschöpfung der ganzen Familie nach jahrelangem unsicheren Aufenthaltsstatus hatten zu der Entscheidung geführt. Die sechsmonatige Überstellungsfrist wäre im Oktober 2019 abgelaufen, wurde aber vom BAMF nach Ablehnung des Härtefalldossiers wegen des Aufenthalts im Kirchenasyl auf 18 Monate verlängert. Zuständig für die eingereichte Klage war leider die Kammer eines Verwaltungsgerichts, die als eine der wenigen solche Verlängerungen für rechtmäßig hält. Tage vor Ablauf der 18 Monate erhielt die Familie die Nachricht, dass Überstellungsfristen Corona-bedingt bis Juli 2020 ausgesetzt waren und nun neu zu laufen begonnen hätten. Zugrunde gelegt für die neu laufende Frist wurden aber nicht sechs, sondern erneut 18 Monate. Fristablauf sei nun Januar 2022.  Dies halten wir für rechtswidrig und mit dem Geist der Dublin III- Verordnung – möglichst rasche Rechtssicherheit für die Asylsuchenden nach in der Regel sechs, maximal 18 Monaten – nicht zu vereinbaren.

Manche ablehnende Begründung von Härtefalldossiers erfüllt uns nach wie vor mit großem Unverständnis. Hier ebenfalls ein Beispiel:

Einer 18jährigen Frau aus Somalia, die als Kind geschlechtsspezifische Folter und Zwangsverheiratung erlitt, zum Tode verurteilt wurde und floh, auf der Flucht Haft und Vergewaltigungen ertragen musste, dann minderjährig in Italien statt Aufnahme, Versorgung oder Behandlung weitere Gewalt erfuhr, legt das BAMF in der Dossierablehnung nahe, sie selbst sei verantwortlich für diese Mängel, da sie in Italien als Minderjährige keinen Asylantrag gestellt habe. Auch ihr Vortrag in Deutschland sei nicht substantiiert gewesen. „….ist ein bloßer, unsubstantiierter Sachvortrag weder geeignet das Vorliegen von gesundheitlichen Beschwerden nachzuweisen, noch die Sachaufklärungspflicht des Bundesamtes in Bezug auf diese zu eröffnen.“ Die Verantwortung für Sachaufklärung einer gerade erst volljährigen, zweifelsohne besonders schutzbedürftigen jungen Frau zu übertragen, selbst nachdem man als Amt mit einem ausführlichen Härtefalldossier auf die Situation hingewiesen wurde, lässt eine humanitäre Grundhaltung für uns nicht mehr erkennen.

Auch die Praxis, in Zeiten der Corona-Pandemie unveränderte Kriterien an den Umfang und die Aussagekraft ärztlicher Stellungnahmen anzulegen, ist realitätsfern und in der Konsequenz für die Betroffenen dramatisch. „So Sie … zu den Schwierigkeiten vortragen, welchen Antragsteller hinsichtlich der Vorlage von qualifizierten medizinischen Attesten begegnen, wird deren Erfordernis dadurch nicht aufgehoben.“

Sie kommen dieses Jahr über den 10. Dezember zusammen, den Tag der Menschenrechte. Wir wünschen uns, dass Menschenrechte für Geflüchtete an den und innerhalb der Grenzen der EU kein Lippenbekenntnis bleiben, während die Praxis oft das Gegenteil aussagt.

Treten Sie mit uns für humanitäre Asylpolitik und eine faire Behördenpraxis ein!

Wir freuen uns auf Ihre Antwort, wünschen ihnen gute Beratungen und sind gern zu weiteren Gesprächen bereit.

Mit freundlichen Grüßen,

Pastorin Dietlind Jochims, Vorsitzende der Ökumenischen BAG Asyl in der Kirche e.V.

 

II. Aktuelle Statistik

Aktuell zum 10.12.2020

Wir wissen zurzeit von 295 aktiven Kirchenasylen mit mindestens 507 Personen, davon sind etwa 99 Kinder. 282 der Kirchenasyle sind sogenannte Dublin Fälle. 

 

III. Pressespiegel*

04.11.20 Bayrischer Rundfunk
Kirchenasyl: Diözesanrat von Bamberg solidarisch mit Äbtissin
Der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Bamberg zeigt sich beim Streitthema Kirchenasyl solidarisch mit Äbtissin Mechthild Thürmer. Diese hatte in ihrem Kloster eine Frau aus Eritrea aufgenommen und so vor dem Zugriff der Behörden bewahrt.

14.11.20 katholisch.de
Heße zu Jesuiten Flüchtlingsdienst: Rechte jedes Migranten wahren.
Vor 40 Jahren wurde der Jesuiten-Flüchtlingsdienst gegründet – und hat auch heute noch viel zu tun. In vielen Zusammenhängen begleitet er Flüchtende, bietet ihnen Hilfe und eine Stimme. Das beinhaltet auch Kritik an der deutschen Politik.

23.11.20 Bayrischer Rundfunk
Äbtissin von Kirchschletten erhält Göttinger Friedenspreis
Die Äbtissin des Klosters Kirchschletten, Mechthild Thürmer, wird mit dem Göttinger Friedenspreis 2021 ausgezeichnet. Sie erhält den Preis für ihre Flüchtlingsarbeit. Das Kloster hatte einer Frau aus Eritrea Kirchenasyl gewährt.

25.11.20 taz
Mutter Mechthild ist Mutter Courage>
Eine Äbtissin, die Menschen Kirchenasyl gewährt und der deshalb eine Gefängnisstrafe droht, erhält zusammen mit Seebrücke den Göttinger Friedenspreis.

27.11.20 Die Zeit
Kirchenasyl: Unendlich bescheiden
Die Äbtissin Mechthild Thürmer muss vor Gericht, weil sie Flüchtlingen Kirchenasyl gewährte. Die Nonne bereut nichts. Zu Besuch bei einer selbstlosen Frau.

29.11.20 ZDF [Videobeitrag]
Sonntags: Wie zeitgemäß ist Kirchenasyl heute noch?
„Sonntags“ besucht die Äbtissin Mechthild Thürmer. Für die Ordensfrau ist Kirchenasyl ein Schutzangebot im Namen der Menschlichkeit. „sonntags“ will aber auch wissen, wie viel Dialogbereitschaft zwischen Menschenrechtlern und Staatsrechtlern existiert. [Anmerkung der BAG Asyl in der Kirche: In diesem Beitrag gibt es inhaltliche Fehler zum Aufgabenfeld der Härtefallkommission]

* Hinweis: Bei den kursiv gedruckten, zitierten Sätzen handelt es sich teilweise um die Anfänge einer Auswahl von Artikeln, die sich in den letzten Wochen mit dem Thema Kirchenasyl beschäftigt haben. Sie geben nicht zwingend die Meinung der Redaktion wider. Die Hyperlinks der Überschriften verweisen auf die Quellen, sie sind für ihre Inhalte selbst verantwortlich. Am Erscheinungstag des Newsletters waren alle noch aktuell und zugänglich.

 

IV. Hinweise

IV.I Corona-Newsticker von Pro Asyl

Auf der Website von Pro Asyl wurde ein Corona-Newsticker für Geflüchtete und Unterstützer*innen eingerichtet, den wir Ihnen wärmstens empfehlen. Dort finden sich auch Links zu mehrsprachigen Informationen zur aktuellen Lage.

 

IV.II Äbtissin Mutter Mechthild und die Seebrücke bekommen Göttinger Friedenspreis

Wir gratulieren Äbtissin Mutter Mechthild aus Kirchschletten in Bayern zum Verleihung des Göttinger Friedenspreises, der im März 2021 übergeben wird. Wir wünschen Ihr, ihren Mitschwestern und allen ehemaligen Kirchenasylgästen alles Gute!

 

IV.III Termine

10.12.2020

Online

Fachtag Kirchenasyl der KHS München

10.12.2020

Global

Tag der Menschenrechte

12.12.2020

Online mit Anmeldung

Asylpolitisches Forum 2020:

Wider den Werteverfall beim Flüchtlingsschutz!