BAG INFOBRIEF 1/23

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40 Jahre Kirchenasyl-Bewegung

Liebe Freund*innen der Kirchenasyl-Bewegung,

am 30. August 1983 starb in Berlin der 23-jährige politische Flüchtling Cemal Kemal Altun. Aus Angst vor einer Auslieferung an die Türkei stürzte er sich aus dem Fenster eines Gerichtssaals. Der Tod Altuns bewog erstmals in Deutschland Kirchengemeinden dazu, abgelehnten Asylbewerber*innen bei Gefahr für Leib und Leben Schutz in ihren Räumen zu gewähren: Noch im selben Jahr begann das erste Kirchenasyl in der Berliner Heilig-Kreuz-Gemeinde.

Zum 40. Jahrestag der Bewegung wollen wir miteinander diskutieren: Wie haben sich das Verständnis von Kirchenasyl und die damit verbundene Praxis im Laufe der Zeit gewandelt? Welche Akteure kommen neu in den Blick, welche geraten aus dem Fokus? Wo steht die Bewegung heute? Wie geht es weiter?

Wir laden Sie und Euch ganz herzlich ein, das Jubiläum mit uns am 30. und 31. August 2023 in Berlin zu begehen!

Ihre Dietlind Jochims, Vorstandsvorsitzende der Ökum. BAG Asyl in der Kirche e.V.

International

Seit der Zeit der ersten Kirchenasyle in Deutschland Anfang der 1980er Jahre ist die deutsche Kirchenasylbewegung mit dem US-amerikanischen Sanctuary Movement und einem internationalen Netzwerk Gleichgesinnter verbunden. Zum Jubiläum erwarten wir zahlreiche Gäste aus dem Ausland, u.a. aus Mexiko, Kanada und den USA. Wo sich die globalen Grenzregime vernetzen und voneinander lernen, tun wir es erst recht!

Alle Infos zu Programm und Anmeldung finden Sie auf der Website der Ev. Akademie zu Berlin.

„Wir haben immer die Wahl, das Richtige zu tun“ (Peter Parker)

Anfang letzten Jahres eröffneten die Jesuiten das Ukama-Zentrum in Nürnberg. Aus dem ehemaligen Ausbildungshaus wurde ein Ort, an dem die beiden Großthemen der nächsten Jahre und Jahrzehnte – Migration und Klimawandel – wissenschaftlich und politisch begleitet und nach Möglichkeit gelebt werden.

Unsere große „Villa“ mit Garten bietet hervorragende Strukturen, um Gastfreundschaft zu praktizieren und Veranstaltungen verschiedener Art Raum zu geben, seien es Treffen von Engagierten aus der Klimabewegung oder Tagungen von Anwältinnen und Anwälten, mit denen der Jesuiten-Flüchtlingsdienst eng zusammenarbeitet.

Es lag nahe, dass wir im Zuge des Ukrainekrieges Flüchtlinge von dort aufnehmen. Seit Juni 2022 wohnen bei uns der neunjährige „Spider-Man“ mit seiner Mutter, sowie eine weitere Mutter mit zehnjähriger Tochter.

Im Haus stehen außerdem drei Zimmer für Kirchenasyl zur Verfügung. Seit April letzten Jahres haben hier zwölf Personen aus     Afghanistan und Syrien Schutz gefunden. Immer ging und geht es um sogenannte Dublin-Rücküberstellungen in einen EU-Mitgliedstaat, in dem Menschenrechtsverletzungen drohen – sei es in Bulgarien, Rumänien, Litauen oder Italien.

Der fünfjährige Adil, der eigentlich anders heißt, kam mit seinem Vater Anfang Dezember. Die Ehefrau hatte sich in Deutschland getrennt, war nun mit einem neuen Partner zusammen. Ausgerechnet am 25. Dezember klagte Adil über Schmerzen im Genitalbereich: eine massive Infektion. Wir fuhren zu einer Bereitschaftspraxis, wo jedoch der Krankenschein, den der Papa aus der Unterkunft in München mitbrachte, keine Gültigkeit hatte. Untersuchung und Antibiotikum beliefen sich schließlich auf rund 200 EUR. Angesichts des relativ geringen Betrages verzichteten wir auf den bürokratischen Weg, Erstattung vom Sozialamt Nürnberg einzufordern, und übernahmen die Kosten.

Glücklicherweise war Adil nach drei Tagen wieder gesund und munter. Und noch etwas Erfreuliches geschah: Die Mutter kehrte zurück in die Familie. Die letzten Tage des Kirchenasyls verbrachten die drei bei uns, dann fuhren sie nach München, um dort gemeinsam ihr Asylverfahren zu beginnen… Wir haben immer die Wahl, das Richtige zu tun!      

Dieter Müller SJ, stellv. Vorsitzender der BAG

Best of BAMF

Seit der sog. Vereinbarung zwischen Innenministerium, BAMF und Kirchen von 2015, haben Gemeinden und Gemeinschaften, die Kirchenasyl aussprechen, die Möglichkeit, in Härtefalldossiers die Gründe für die Gewährung von Kirchenasyl darzulegen. Über 90% dieser Dossiers werden vom BAMF abgelehnt. Die Fehlerhaftigkeit der Behördenschreiben bemängeln wir seit Längerem. Wir haben uns entschieden, diese Absurdität in der Kategorie „Best of BAMF“ aufzuzeigen und hier anonymisierte Ausschnitte aus Dossierablehnungen zu veröffentlichen. Wir hoffen, dass die besonderen Nöte der Menschen im Kirchenasyl zukünftig sorgfältiger geprüft werden.

Im folgenden Fall schützte das Kirchenasyl Herrn A. aus Afghanistan vor einer erneuten Abschiebung nach Polen. Auf der Flucht war Herr A. von seiner Ehefrau getrennt gewesen, diese befand sich zur Zeit des Kirchenasyls bereits im deutschen Asylverfahren. In seiner Antwort behauptet das BAMF, der grundgesetzlich verankerte Schutz der Familie sei relativ:

„Die Ehe ist in Art. 6 GG geschützt; dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Überstellung nicht möglich wäre. Das Familienasyl ist in §26 AsylG geregelt. Die Prüfung der Voraussetzungen obliegt allerdings nicht dem Bundesamt, sondern der zuständigen Ausländerbehörde bzw. der zuständigen deutschen Botschaft oder dem Konsulat. Die hierfür mögliche vorübergehende Trennung der Familie erscheint zumutbar, zumal die technischen Möglichkeiten ein Vielzahl von Kommunikationsmöglichkeiten bieten, um einen regelmäßigen Kontakt auch über Ländergrenzen hinweg zu ermöglichen.“

Der schmerzhaften, sicher nicht selbstbestimmten oder gar intendierten Familientrennung auf der Flucht begegnet das BAMF mit Achselzucken. „Es ist ihnen eine vorübergehende Trennung während des Asylverfahrens zumutbar, wenn sie ggf. selbst durch autonom getroffene Entscheidung die Familieneinheit aufgegeben und damit durch die zeitlich versetzte Ausreise aus ihrem Heimatland in unterschiedliche Zielländer den Grund für die Aufspaltung der Zuständigkeit für die Durchführung der Asylverfahren gesetzt haben.“

Schließlich kommt das BAMF zu dem Schluss: „Das Schutzgebot für Ehe und Familie ist daher in verhältnismäßiger Weise mit dem öffentlichen Interesse abzuwägen.“

Wir sehen uns nicht als Teil der Öffentlichkeit, in deren Interesse es ist, Familien wieder und wieder auseinanderzureißen. Stattdessen fordern wir seit Jahrzehnten: Familien gehören zusammen!

Kirchenasyl in Zahlen

Kirchenasyl in Zahlen

Aktuell wissen wir von 366 Kirchenasyle, davon 344 mit Dublin-Bezug. Laut unserer Statistik sind momentan mindestens 638 Personen im Kirchenasyl, darunter 153 Kinder.

Für eine Presseanfrage zum 40-jährigen Jubiläum der Kirchenasyl-Bewegung haben wir einmal zusammengerechnet:

Zwischen 1996 und 2022 waren mindestens 13.469 Personen Gäste im Kirchenasyl. Circa 3.542 davon waren Kinder.

Die BAG auf dem Evangelischen Kirchentag

Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag, der vom 7.-11. Juni in Nürnberg stattfindet, sind wir als Ökumenischen BAG Asyl in der Kirche selbstverständlich auch vertreten. Besuchen Sie uns doch an unserem Stand auf dem Markt der Möglichkeiten in Halle 1 auf der Messe!

Gemeinsam mit dem Runden Tisch Kirchenasyl Nürnberg-Erlangen laden wir ein zum Politischen Nachtgebet zum Kirchenasyl. Unter dem Titel „Ein Tisch im Angesicht meiner Feinde“ feiern wir Gottesdienst mit ehemaligen Kirchenasyl-Gästen, dem katholischen Theologen und Hochschulpfarrer Burkhard Hose und der Bischöfin der Nordkirche, Kirsten Fehrs.

Das Nachtgebet findet am Freitag, den 9.6.23 in der St. Michaelskirche in Fürth statt. Sie finden die Veranstaltung im Programm über den Webcode GY63. Wir freuen uns, dort alte Bekannte und neue Gesichter anzutreffen.