Charta der neuen „Sanctuary-Bewegung“ in Europa

Weil wir Fremde willkommen heißen wollen, haben wir diese Charta der neuen „Sanctuary-Bewegung“ in Europa beschlossen.

Festung Europa

Die Lage der Migranten und Migrantinnen, die in Europa Aufnahme und Schutz suchen, ist alarmierend. Unser Kontinent hat sich zu einer Festung entwickelt, mit der Menschen abgewehrt werden, die vor politischer, ethnischer oder religiöser Verfolgung, vor Krieg oder Bürgerkrieg, vor Umweltzerstörung, Hunger oder Armut fliehen. Durch Militarisierung der Außengrenzen, nahezu unerfüllbare Auf- nahmebedingungen und abschreckende Lebensbedingungen im Inneren wird die Abwehr von Flüchtlingen fortwährend perfektioniert. Viele tausend Menschen hat bereits der Versuch, bei uns Schutz zu finden, das Leben gekostet. In unseren Gesellschaften aber begegnen Meldungen über Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken, in Containerlastwagen ersticken oder sich in Abschiebehaftanstalten das Leben nehmen, dem „Fluch der Gleichgültigkeit“ (Hannah Arendt).

humanitäre Traditionen in Europa

Obwohl Europa erheblich zu den Ursachen von Flucht und Migration beiträgt, unter anderem durch Waffenlieferungen in Krisengebiete, die Unterstützung menschenrechtsverletzender Regime, die Agrar- und Fischereipolitik und die Forcierung des Klimawandels durch CO2-Ausstoß, ist sein Beitrag zur Lösung des weltweiten Flüchtlingsproblems in beschämender Weise gering. Es dominiert eine Praxis der Wohlstandssicherung um fast jeden Preis. Damit aber verrät Europa seine besten, humanitären Traditionen: sein Bekenntnis zur Universalität von Menschenwürde und Menschenrechten, zu Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Die Missachtung dieser Werte unterhöhlt Europas Glaubwürdigkeit in der Welt und gefährdet das friedliche Zusammenleben auf unserem Globus.

Partei ergreifen für Menschen in Not

Als Christinnen und Christen in Europa sind wir nicht bereit, diesen Umgang mit Menschen in Not hinzunehmen. Wir sind ihnen verbunden. Sie sind Gottes Ebenbilder wie wir. Darum sind wir in unseren Kirchen, Pfarrgemeinden, Klöstern, Kommunitäten und Solidaritätsgruppen herausgefordert, Verantwortung zu übernehmen und Partei zu ergreifen: nicht nur für die Flüchtlinge und Asylsuchenden, die unter uns leben, sondern auch für die, die schon an den Außengrenzen Europas scheitern und uns gar nicht mehr zu Gesicht kommen. Das Asylrecht ist nichts wert, solange der Zugang Schutzsuchenden verwehrt bleibt.

Wir verpflichten uns

Darum verpflichten wir uns,

  • alle Möglichkeiten zu nutzen, Flüchtlingen in Not zu helfen.
  • dort, wo eine Abschiebung droht, und damit die Würde und das Leben von Menschen in Gefahr ist, Flüchtlinge in unseren Gemeinden aufzunehmen und zu schützen („sanctuary“, Kirchenasyl), bis eine annehmbare Lösung für sie gefunden ist. Wir werden dort, wo dies notwendig wird, eine offene Auseinandersetzung mit den Regierenden nicht scheuen.
  • die skandalösen Praktiken, mit denen Flüchtlinge an den Außengrenzen Europas abgewehrt oder im Inland drangsaliert werden (Abschiebehaft, Diskriminierungen in nahezu allen Lebensbereichen), beharrlich in die Öffentlichkeit zu tragen, um die Gewissen zu schärfen.
  • für eine an Menschenwürde und Menschenrechten orientierte Asyl- und Einwanderungspolitik einzutreten – von der lokalen bis zur europäischen Ebene.
  • dazu beizutragen, dass Flüchtlinge sich in unserer Gesellschaft willkommen fühlen und an dieser gleichberechtigt teilhaben.
  • für diese Selbstverpflichtungen und Ziele auch in unseren Kirchen und unter Mitchristen und Mitchristinnen zu werben.
  • die Kooperation mit Gleichgesinnten zu suchen – unabhängig davon, welcher Glaubensgemeinschaft oder Weltanschauung sie angehören.
  • uns europaweit und weltweit zu vernetzen und im Sinne dieser Verpflichtungen solidarisch zusammenzuarbeiten.

Ganz Europa muss zu einem Schutzraum, einem „sanctuary“, für Migranten und Migrantinnen werden! Dafür wollen wir eintreten – in der Überzeugung, dass Gott die Fremden liebt und wir in ihnen Gott selbst begegnen (Mt. 25, 31ff.).

Beschlossen am 10. Oktober 2010 auf der Jahrestagung der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V. in Berlin


Diese Charta erneuert die „Charta von Groningen“ und passt sie den neuen Gegebenheiten für Flüchtlinge und Asylsuchende in Europa an. Die Charta von Groningen war das Ergebnis einer Konferenz, die 1987 in der niederländischen Stadt Groningen stattgefunden hat und in der sich Kirchengemeinden und Glaubensgruppen verpflichteten, Flüchtlinge, denen die Abschiebung droht, „aufzunehmen und zu schützen“, falls zu erwarten ist, dass sie keine menschliche Behandlung erfahren und die Qualität ihres weiteren Lebens ernsthaft beeinträchtigt wird.

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